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Name des Projekts: Lesung: Marburg auf den Spuren von Esther Bejarano
Träger: "misch mit!"
Ort: Marburg
Zeitraum: 5. Februar 2025

Marburg auf den Spuren von Esther Bejarano

„Ihr habt keine Schuld an dieser Zeit. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über diese Zeit wissen wollt. Ihr müsst alles wissen, was damals geschah. Und warum es geschah.“ (E. Bejarano)

Am 05.02.2025 war Benet Lehmann der Einladung des KFZ Marburg und der Partnerschaft für Demokratie des Landkreises Marburg-Biedenkopf „misch mit! Miteinander Vielfalt (er)leben“ gefolgt. Das KFZ Marburg war mit 145 Besuchenden vollbesetzt, um Lehmann aus dem neu erschienenen Buch „Esthers Spuren. Die Geschichte der Shoah-Überlebenden Esther Bejarano und der Kampf gegen Rechtsextremismus“ lesen zu hören. Darin schildert Lehmann das Leben der 1924 geborenen jüdischen Deutschen, die nach Zwangsarbeiten in Berlin 1943 nach Auschwitz deportiert wurde. Dort konnte sie aufgrund ihrer musikalischen Bildung Teil des Frauenorchesters Akkordeonspielerin werden. Durch die Protektion des SS-Hauptscharführers Otto Moll, der für die Gaskammern verantwortlich und gleichzeitig ein großer Musikliebhaber war, wurde sie nach einer schweren Typhuserkrankung medizinisch versorgt und nach Ravensbrück gebracht. Auf einem Todesmarsch kurz vor Ende des Krieges gelang ihr die Flucht. Die bekennende Kommunistin lebte erst in Israel, kehrte 1960 nach Deutschland zurück und widmete ihr Leben dem gesellschaftspolitischen Engagement gegen Rechtsextremismus und dem Kampf für eine bessere Welt.

Lehmanns Buch enthält neben den biografischen Teilen zu Esther Bejaranos Leben auch Berichte über die eigene Familiengeschichte – der eigene Großvater als Referenzpunkt. Dessen und Bejanaros Leben weisen zwar immer wieder räumliche und zeitliche Nähen auf, allerdings findet das eine Leben auf der Seite der Täter statt, während das andere um das Überleben kämpft.

An dieser Stelle verwies Lehmann auch auf die Verschiedenheit unterschiedlicher Erinnerungskulturen hin, die die bis heute andauernde postnationalsozialistische Gesellschaft prägen. 1945 stellt keine Zäsur da, an der rechtes Gedankengut einen Wendepunkt nahm. Im Schweigen der Nachkriegsjahre und dem Aufklärungsdrang der folgenden Generation gab es weiterhin Opfer von Antisemitismus und rechter Gewalt, deren brutales Vorgehen den 90er Jahren den Beinamen „Baseballschlägerjahre“ verlieh. Solche Formen von Gewalt veranlassten die deutsch-türkisch-italienischen Mitglieder der Rapgruppe Microphone Mafia Kontakt mit Bejarano aufzunehmen und die gemeinsamen Erfahrungen musikalisch zu verarbeiten. An Auftritte in dieser scheinbar ungewöhnlichen Kombination nahm Bejarano bis kurz vor ihrem Tod teil.

Die sanft und voller Anteilnahme vorgetragenen Abschnitte aus dem Vorwort, der Zeit in Auschwitz und Lehmanns Besuch der dortigen Gedenkstätte sowie das Treffen auf Bejaranos Enkel, wechselten sich mit Nachfragen und Gedankenaustauschen durch Pia Thattamannil, Mitarbeiterin von „misch mit“ ab, die als Moderatorin die Lesung begleitete.
Von dem Ringen um Verständnis dieser Zeit und ihrer Verarbeitung, dem Wunsch nach mehr solidarischem Widerstand bei der Wahrnehmung von Diskriminierung und rechtsextremistischen Äußerungen und von der Frage nach der Vermittlung der Geschehnisse an künftige Generationen waren die Fragen und Wortbeiträge des Publikums am Schluss der Veranstaltung geprägt.
Für diesen tiefgreifenden Wandel der Erinnerungskultur können Lehmanns Buch sowie damit verbundene Auftritte als eine Brücke gesehen werden, die den künftigen Generationen die Schreckenszeit des NS-Regimes auch ohne noch lebende Zeitzeugen vermitteln können.