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Name des Projekts: Theater & Podium gegen Gewalt gegen Frauen
Träger: "misch mit!"
Ort: Kirchhain & Niederweimar
Zeitraum: November und Dezember 2022

Gegen Gewalt an Frauen — Theater & Podium


Solidarität als Lösung

2021 wurden deutschlandweit über 115.000 weibliche Opfer von Partnerschaftsgewalt in einer poli-zeilichen Kriminalstatistik erfasst. Die Dunkelziffer der von physischer und psychischer Gewalt be-troffenen Frauen dürfte weitaus höher liegen, denn nicht jeder Übergriff wird angezeigt. Dabei gibt es kein „mehr oder weniger von Gewalt“, wie der Abend Gegen Gewalt gegen Frauen — Theater & Podium verdeutlicht hat. Organisiert von „misch mit! Miteinander Vielfalt (er)leben“, gab es in der Alten Kirche in Niederweimar ein Theaterstück und eine Podiumsdiskussion zum Thema zu erleben. Am 18. November 2022 hat das gleiche Veranstaltungsformat bereits in Kirchhain stattgefunden.

„misch mit! Miteinander Vielfalt (er)leben“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, Demokratie zu för-dern. Dieses Selbstverständnis prägt auch den Begriff von Gewalt gegen Frauen, wie ihn Rekha Vadivelu in ihrer Eröffnung des Abends festlegte: Femizide sind Gewalt gegen Frauen, ja, aber ebenso müsse auch psychische und strukturelle Gewalt ernstgenommen werden. Als „lebenswichtig“ gelte dabei die Platzierung des Themas in der Gesellschaft.

Nach diesen einleitenden Worten betraten drei Schauspielerinnen die Bühne der zum Veranstal-tungsort umfunktionierten, gut gefüllten Alten Kirche. Sie zählen zum Ensemble der Bühne für Menschenrechte, die Menschenrechtsverletzungen in dokumentarischen Theaterstücken aufarbeitet. Bei dem Stück KEINE MEHR an diesem Dezemberabend handelte es sich um die Ergebnisse meh-rerer Interviews, die mit Betroffenen von Gewalt geführt worden waren — „Expertinnen aus Erfah-rung“, wie es hieß. Gegenüber dem Publikum wurde eine Appellhaltung vertreten: Aufmerksamkeit könne Gerechtigkeit schaffen und Solidarität eine Lösung sein. Eine der Schwierigkeiten, die in der mitreißenden Darbietung immer wieder aufblitzte, waren die vielen Formen von Gewalt und dass nicht jede Frau dieselben Erfahrungen durchleidet. Für alle Betroffenen sprechen kann niemand, lautete eine Erkenntnis.
Wie aber kann man Betroffene erreichen, wie Sprachbarrieren auf der Suche nach Solidarität über-winden? Wer wird wie und unter welchen Umständen gehört? Fragend tasteten sich die Darstellen-den durch ihre je eigenen Erinnerungen an Gewalterfahrungen, gingen einen Schritt vor und zwei zurück. Einig waren sie sich darin, dass Gesellschaft, Erziehung und patriarchale Strukturen Täter hervorbringen und die vermeintliche Rolle von Frauen prägen. „Bevor ich eine Frau wurde“, fasste eine von ihnen zusammen, „war ich immer erst Teil von einem Mann, einer Familie, einer Bezie-hung.“
Auch, wie Betroffene medial und politisch vereinnahmt werden, wurde thematisiert: Mitleiderre-gende Geschichten – und damit ein „ideales Opfer“ - sind gefragt, lokale Hilfestellung dagegen komme häufig zu kurz. Dabei hat jede Frau ihre eigene Geschichte, die ein Zusammenspiel mehrerer, auch widersprüchlicher Erfahrungen ist. Gewalt gegen Frauen findet in jedem Alter statt, betont wurde jedoch auch Mehrfachdiskriminierung — Fluchtgeschichten eingeschlossen.
In der schweren und erschöpfenden Atmosphäre des Stücks nahm das Publikum die Momente dan-kend an, in denen Stärke und deren Wiedererlangen behandelt wurde. Betroffene haben zwar keine Wahl, diese Schwere aushalten zu müssen. Aber über Anekdoten über bizarre Erfahrungen mit Männern zu lachen, die Frauen als eigenständiges Gegenüber nicht gewachsen sind, konnte man dennoch. „Wenn man einmal laut war, ist man es immer“, hieß es folgerichtig.

Nach einer kurzen Pause wurde die Podiumsdiskussion eröffnet. Hier waren vier Gäste geladen, die sich beruflich mit dem Thema Gewalt gegen Frauen beschäftigen: Johanna Bacher von Frauen hel-fen Frauen e.V., Somayeh Mansouri als Stimme der Frauen im Iran, Ira Kögler von Wildwasser Marburg e.V. und Janet Miller, Leiterin des kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbüros des Landkreises Marburg-Biedenkopf.
Die erste Frage aus dem Publikum schloss an die im Theaterstück aufgeworfene Frage nach Mehr-fachdiskriminierung an: Wie kommt ihr eine Rolle in der Arbeit der Podiumsgäste zu? Bacher wies auf die Notwendigkeit hin, Angebote weiterzuentwickeln und sich zunehmend auf diese Zielgruppe hin auszurichten. Kögler machte einen konkreten Vorschlag: Ein erster Schritt sei es, den Output des jeweiligen Vereins in mehreren Sprachen anzubieten. In jedem Fall müsse jedoch immer nachjustiert werden, um so viele Frauen wie möglich erreichen zu können.
Mansouri — selbst aus dem Iran — nahm den Abend zum Anlass, den Frauen im Iran eine Stimme zu verleihen. Sie wies auf die islamische Gesetzgebung im Iran hin und machte sich für Solidarität stark, die sowohl im Kleinen als auch international stattfindet. „Solidarität“, so Mansouri, „bedeutet Leben oder Tod.“

Zu den weiteren besprochenen Themen zählte die Frage, wie diese Solidarität genau aussehen kön-ne. Mansouri äußerte hierzu, dass der Weg zu mehr Gleichberechtigung über Bildung führt, aber Frauen auf die Hilfe von Männern angewiesen seien, wie die derzeitige Situation im Iran beweise. Hinschauen und gemeinsam kämpfen seien der Weg ans Ziel, auch wenn dieser noch lang sein mag. Zu dieser Vorstellung von Solidarität zählt auch, dass sich Frauenbewegung für trans und nicht-binäre Personen öffnen, wie das Podium einstimmig anmerkte. Solidarität ist ein Weg, der auf alle angewiesen ist und für alle eintritt.