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Name des Projekts: Gesichter und Geschichten Teil 2
Träger: bsj Marburg
Ort: Landkreis Marburg-Biedenkopf
Zeitraum: 2019

Von einem Leben in Deutschland

Was ist seit 2015 aus Tarek, Ali und Muhi Eddin geworden? Haben die drei im Landkreis Marburg-Biedenkopf eine neue Heimat gefunden? Welche ihrer Wünsche haben sich erfüllt, welche nicht? Worüber sind sie gestolpert? Diese Fragen richteten die pädagogischen Mitarbeiter*innen des bsj Marburg im Jahr 2019 an die mittlerweile jungen Erwachsenen und initiierten damit das Folgeprojekt „Gesichter und Geschichten Teil 2“. Teil 2 erzählt die Geschichten der drei Jugendlichen mit Fluchterfahrung in Form von Videoclips weiter, die nach Art einer Kunstinstallation in eine Mediensäule integriert sind, um die Betrachter*innen herumgehen und die einzelnen Clips ansehen können.

Gemeinsam mit Projektmitarbeiter*innen des bsj Marburg verbrachten Tarek, Ali und Muhi Eddin ein Projektwochenende, um Antworten auf die Fragen nach ihrer alten und neuen Heimat zu finden. „Die drei waren sofort bereit, ihre Geschichten weiterzuerzählen“, sagt Simona Lison, „so konnten sie auch mal wieder länger zusammen sein.“

Die jungen Männer wurden befragt und gefilmt: auf Felsen im Odenwald, auf einer hügeligen Wiese im Lahntal und in einem Raum mit einer Schubladen-Kommode. Dabei sprachen sie über das, was sie heute bewegt: ihre Ausbildung, ihr Leben als Freunde und Familienmitglieder. Und sie überlegten, welche Rolle die Tradition für sie spielt. Dabei wurde schnell klar, dass keiner von den dreien in eine Schublade passt. „Wer wir sind und was uns ausmacht, setzt sich aus vielen Mosaiksteinen zusammen“, sagt die Sprecherin (Victoria Schmidt) in einem der Videoclips.

Die Tatsache, dass die drei aus Syrien geflüchtet sind, ist dabei nur noch ein Mosaiksteinchen neben anderen in ihrer Identität. Wichtig ist für alle drei jetzt vor allem die Ausbildung: Ali ist bereits Krankenpfleger beim Deutschen Roten Kreuz, Tarek lernt noch Chemielaborant und Muhi Eddin hat sich für den Beruf des Elektronikers entschieden. Auch die Lebensumstände der drei unterscheiden sich: Ali hat eine eigene Wohnung in Frankenberg, liebt Sport und seine Familie lebt inzwischen in Deutschland in seiner Nähe. Tarek wohnt in der Marburger Oberstadt über einer Kneipe, spielt nächtelang das Kartenspiel Phase 10 mit Freunden und vermisst seine Mutter. Muhi fand schließlich neben seiner syrischen Familie eine deutsche Pflegefamilie, die ihn seit 2016 auf seinem Weg begleitet und ihn an einem Leben mit Familienfesten und Familienurlauben teilhaben lässt.

Alle drei wollen nicht darauf reduziert werden, dass sie aus Syrien geflüchtet sind. So erzählt Tarek grinsend, dass seine Freunde sagen, er sei ein echter Marburger, weil er in der Oberstadt wohne. Und Muhi erklärt rundweg, dass ihm keiner sagen könne, er sei kein Marburger, immerhin habe er einen mittelhessischen Dialekt, eine deutsche Familie und mache alles wie die Deutschen. „Dieser Drang nach Normalität und Zugehörigkeit hier in Deutschland ist sehr wichtig für die drei“, sagt Simona Lison, „immer wieder taucht die Frage auf, wann sie wirklich dazugehören.“ Aus den drei unbegleiteten, minderjährigen Jugendlichen von 2015 sind im Jahr 2019 also junge Erwachsene geworden, die sich wie die meisten Menschen in ihrem Alter in Deutschland vor allem mit Gedanken an ihre Zukunft beschäftigen.

Für Lehrkräfte hat der bsj Marburg ein umfangreiches Handout als Begleitmaterial zu beiden Teilen von „Gesichter und Geschichten“ ausgearbeitet. „Sobald die Mediensäule eröffnet werden kann, gehen die Ausstellungen zusammen in Schulen und anderen öffentlichen Orten rund“, sagt Simona Lison, „aber um die Jungs vor Anfeindungen zu schützen, haben wir das Material bewusst nicht online verfügbar gemacht.“ (ybo)