Zum Hauptinhalt springen

Name des Projekts: Querbeet
Träger: bsj Marburg
Ort: Landkreis Marburg-Biedenkopf
Zeitraum: Juli bis Dezember 2017

Pflanzkisten als Symbol für Vielfalt und gesellschaftliches Engagement

Ideen keimen mitunter auf, werden größer, reifen heran und blühen auf wie Kräuter, wie Früchte, wie Blumen. Und dann können diese Ideen zusammen mit anderen zarten Pflanzen in rot-weiß getupfte Kisten gepackt und verschenkt werden – als Dankeschön, als Bitte, als Wunsch. So war das 2018 im Landkreis Marburg-Biedenkopf, wo im Laufe eines Jahres von Niedereisenhausen bis Neustadt, von Weimar bis Wetter an die 100 Jugendlichen an dem misch mit!-Projekt „Querbeet“ teilnahmen. Sie bepflanzten etwa 20 Querbeet-Kisten und überreichten sie an Menschen als Dank für ihr gesellschaftliches Engagement.

„Im Landkreis entstand ein kunterbuntes Band voller Kräuter, Gemüsepflanzen und Blumen in Pflanzkästen, das die Vielfalt, das Miteinander und den Kontakt der Menschen in der Region verstärken sollte“, sagt Simona Lison vom bsj Marburg. Sie begleitete das von der kurdisch-jesidischen Familie Othmann aus Syrien angeregte misch mit!-Projekt. Die sechsköpfige Familie war im Jahr 2015 mit vier schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen aus dem Bürgerkriegsland geflohen, kam zunächst in Bottenhorn bei Bad Endbach unter und fand dann später in Kirchhain ein neues Zuhause.

„Im Laufe der Zeit verwandelten die Eltern dort ein Stück Land an ihrem Haus in ein Gemüseparadies“, berichtet Simona Lison, die einen freundschaftlichen Kontakt zu der Familie pflegt. Durch die Arbeit mit der Erde, den Pflanzen und den Blumen schufen sie sich eigenhändig ein Stück Heimat in Deutschland. „Sie eigneten sich den Raum an“, sagt die Pädagogin im Fachjargon. Jedes neue Beet bot immer auch einen neuen sozialen Anknüpfungspunkt zu den Nachbarn, war Ausgangspunkt von Gesprächen. Wo gedeihen Erdbeeren am besten? Wie stützt man Stangenbohnen?

Indem sich das brachliegende Feld am Haus in einen Gemüsegarten verwandelte, wurde die Lebenswelt nicht nur aktiviert, sondern auch verschönert. Da keimte bei den Othmanns auch schon die Idee zu „Querbeet“ auf: Wie wäre es denn, wenn man das Gärtnern nutzen könnte, um andere Menschen zu beschenken, besonders engagierte Personen, die den Landkreis zu einem besseren Ort machen, Menschen, die für Jugendliche, Geflüchtete, Alleinstehende da sind?

Die Familie stellte mit Unterstützung von Simona Lison einen Projektantrag bei misch mit! und baute dann aus einem 60x40 cm großen Eurobehälter den Prototypen eines Querbeet-Pflanzkastens. Sie legten die Kiste mit einem Gartenvlies aus, befüllten sie zu einem Drittel mit Holzhackschnitzeln und kleinen Stöckchen, schütteten den Rest mit Pflanzerde auf und setzten dann ihre persönliche Auswahl an Pflanzen ein. Von außen schlugen sie die Kiste schließlich in eine rote Wachstuchtischdecke mit weißen Punkten ein und schufen damit den typischen Querbeet-Look.

Und wem schenkten die Othmanns ihren Prototypen einer Querbeet-Kiste? „Dem ersten Menschen, der ihnen nach ihrer Flucht in Deutschland half und dem sie aus ihrer Sicht viel zu verdanken hatten“, berichtet Simona Lison. Der beschenkte Julian Schweitzer ist inzwischen Bürgermeister von Bad Endbach. Das Pflanzengeschenk war nicht nur eine freudige Überraschung, sondern bot auch die Gelegenheit zu einem festlich begangenen Wiedersehen. Für die Familie, die sich einen neuen Lebensraum erschlossen hatte, war es wichtig, nicht nur über Krisen zu sprechen, sondern auch über Wachstum und ihre Dankbarkeit dafür. Dies war ihre zündende Idee hinter den Querbeet-Kästen.

„Und diese Idee wollten wir dann nutzen, um Jugendlichen im Landkreis über die Jugendarbeit und Schulsozialarbeit vor Ort die Möglichkeit zu verschaffen, selbst solche Botschaften zu verschicken“, sagt die Pädagogin. Die Jugendlichen übernahmen dabei eine für sie eher ungewohnte soziale Rolle: Sie traten als die auf, die einen Dank aussprachen oder ein Lob für eine besonders gesellschaftsrelevante Initiative spendeten. Und sie mussten aushandeln, was ihnen dankens- und lobenswert erschien.

So waren unter den über 20 Beschenkten zum Beispiel die ehrenamtlichen Helfer*innen vom Repair-Café Dautphetal für ihren Beitrag zur Nachbarschaftshilfe, der Jugendwart der Feuerwehr in Cölbe für sein Engagement. Aber auch Einzelpersonen wurden beschenkt, wie ein Schul-Hausmeister in Neustadt, der durch seine gute Laune den Schulalltag aufheiterte, oder eine Frau, auf deren nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft man sich verlassen konnte. Mitunter packten die Jugendlichen auch Wünsche in ihre Kisten: So eine Wunschkiste ging beispielsweise an den Bürgermeister von Dautphetal, damit er auch künftig ein offenes Ohr für Anliegen von jungen Menschen habe.

„Zu ihren Botschaften konnten die Jugendlichen an Pflanzen in die Kisten packen, was sie wollten“, berichtet Simona Lison. Die einen verschenkten Erdbeeren, die anderen Blumen und Kräuter oder etwas für Bienen. An der Übergabe der Kisten nahmen neben den Jugendlichen, den Jugend(sozial)arbeiter*innen und den Beschenkten oft auch Abgeordnete des Kreisjugendarlaments teil. „Die Reaktion der Beschenkten war dann für alle Beteiligten sehr rührend und wertschätzend“, berichtete die Pädagogin, „die Emotionen dabei waren für manche überwältigend!“. „Beim Überreichen der Kiste war ich total aufgeregt“, sagt eine der Beteiligten, „ich wusste zuerst gar nicht, was ich sagen sollte!“  Durch die kreative Idee der Familie Orthmann wurde ein buntes Pflanzenband durch den Landkreis Marburg-Biedenkopf gelegt. (ybo)