Name des Projekts: 6 Gegenstände - 6 Geschichten
Träger: Asylbegleitung Mittelhessen e.V.
Ort: Marburg, Landkreis Marburg-Biedenkopf
Zeitraum: Mai-Dezember 2022
Geschichten erzählen anders gedacht
Mit dem Programm zum 800. Stadtjubiläum von Marburg diesen Sommer hat auch eine von „misch mit! Miteinander Vielfalt (er)leben“ unterstützte Ausstellung ihre Premiere gefeiert: 6 Gegenstände 6 Geschichten, erdacht und umgesetzt von der Asylbegleitung Mittelhessen e.V., wurde auf einem Stand im Rahmen des „Tischlein-deck-dich“-Events am Pfingstsonntag erstmals gezeigt. Die rund 50.000 Besucherinnen und Besucher hatten hier als Erste die Gelegenheit, einen Einblick in die All-tagswelt geflüchteter Menschen zu erhalten.
Ziel dieser Ausstellung war und ist, die Lebenswelten von Geflüchteten erfahrbar zu machen. Dazu wurden Asylsuchende aus dem Landkreis Marburg-Biedenkopf gebeten, jeweils einen persönlichen Gegenstand mitsamt dessen Geschichte vorzustellen. Festgehalten wurde dies auf Schautafeln, auf denen neben Fotografien der Gegenstände auch die Geschichten selbst dargestellt sind. Wer sich einmal näher mit solchen Lebenswelten befasst, so die Hoffnung, kann auch stereotype Vorstellun-gen abbauen. Veränderung fängt schließlich im Kleinen an.
Lange vor der Premiere galt es allerdings erst einmal, Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu gewinnen, wie sich Stefan Stein erinnert, der ehrenamtlich bei der Asylbegleitung tätig ist: „Wir haben gezielt Personen angesprochen und wollten eine gleichmäßige Verteilung zwischen Geschlechtern und Her-kunftsländern erreichen. Dabei haben wir festgestellt, dass unserem Anliegen ein großes Mittei-lungsbedürfnis gegenüberstand.“ Wichtig sei der Asylbegleitung gewesen, nicht auf Fluchtgeschich-ten abzuzielen, sondern die Frage offen zu formulieren: „Gibt es einen Gegenstand, zu dem du eine Geschichte erzählen kannst?“ So war den Teilnehmerinnen und Teilnehmern überlassen, sich frei in Interviews mitzuteilen.
Nachdem diese Interviews verschriftlicht, verdichtet und den Personen zur Freigabe vorgelegt wor-den waren, wurden diese auch gebeten, ihren jeweiligen Text in die eigene Sprache zu übertragen. Auf den Schautafeln finden sich deshalb nicht bloß die deutschsprachigen Geschichten, sondern auch Versionen, die in die Muttersprachen übersetzt wurden. Zu den Gegenständen zählen ein Ste-thoskop, ein Ring und ein Hundert-Afghani-Schein, „um Wasser zu kaufen, für den Notfall“, wie der Teilnehmer berichtete: „Aber das ist so wenig Geld. Also blieb ich durstig und habe diesen Schein heute noch!“
Auf der Premiere konnte sich der Veranstalter über eine gute Rückmeldung freuen, auch vonseiten derer, die ihre Geschichten erzählt hatten: „Am eindrücklichsten war wohl, dass die Ausstellung für diejenigen, die teilgenommen haben, eine hohe Bedeutung hatte.“
Stein war es auch, der auf ein stimmiges Zusammenspiel von Form und Inhalt pochte. Indem näm-lich die Gegenstände und Geschichte hochwertig dargestellt werden, so der Grafiker, unterstreiche man auch, wie wertvoll beide seien. Ergänzt wird die Aufmachung durch eine Halterung, in der Karten mit den Fotos und Geschichten stecken. Nicht nur den Besucherinnen und Besuchern der Premiere bot sich so die Chance, die Ausstellung sozusagen mit nach Hause zu nehmen: Auch alle, die auf der diesjährigen Demokratiekonferenz von „misch mit! Miteinander Vielfalt (er)leben“ wa-ren, konnten 6 Gegenstände 6 Geschichten betrachten.
Doch nicht nur sie: 6 Gegenstände 6 Geschichten war von Anfang an als Leihgabe geplant, die von verschiedenen Akteuren aus dem Landkreis angefordert werden kann. Für das kommende Jahr ist eine weitere Wand geplant, die neben zwei zusätzlichen Geschichten auch eine Einführung in die Ausstellung enthalten soll. Dann können die Schautafeln kostenfrei über die Website der Asylbe-gleitung angefragt werden. Mit dem Projekt sollen schließlich Gespräche angeregt und dafür ge-worben werden, sich vermeintlich Fremdem gegenüber zu öffnen. Und eine Geschichte wird erst dann zu einer, wenn man sie auch weitererzählt. (Jannick Mudersbach)